Julia Hamburg wurde von der Niedersächsischen Landesregierung in den VW-Aufsichtsrat entsandt.
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Die Empörung war groß, als die Grüne Julia Hamburg VW-Aufsichtsrätin wurde. Doch die Empörung darüber ist genau das Problem. Denn die Industrie braucht für ihre Transformation starke Führungskräfte. Ein Gastbeitrag.
Die stellvertretende Ministerpräsidentin von Niedersachsen übernahm einen der zwei Aufsichtsratsposten von Volkswagen, die dem Land zustehen – und der Boulevard schäumte: eine Grüne, der „Autohass“ unterstellt wird (gleichwohl sie sich nie dahingehend geäußert hat), die Fahrrad fährt (wie VW-Chef Oliver Blume, der fährt Elektroroller und treibt den Ausbau der E-Bike-Sparte bei Porsche voran) und keine wirtschaftspolitische Erfahrungen vorweisen könne. Wobei das für einen Peter Altmaier (CDU) oder Philipp Rösler (FDP) in gleicher Weise zutraf.
Julia Hamburg hat eine beeindruckende politische Karriere gemacht, die grüne Fraktion in Niedersachsen geführt und ihren wirtschaftspolitischen Sachverstand immer wieder auch im Austausch mit Unternehmensvertreterinnen und -vertretern unter Beweis gestellt. Und sie hat neben ihrer Karriere in der Politik zudem zwei Kinder bekommen. Aber so etwas gilt ja heutzutage immer noch nicht als Arbeit oder Ausweis für Belastungs- und Organisationsfähigkeit bei Frauen. Warum brauchen wir solche Menschen in der deutschen Industrie?
Es herrscht große Einigkeit darüber, dass nicht nur der Angriffskrieg der Russen in der Ukraine, sondern Krisen wie Klimaveränderung und Artensterben – um nur die größten Gefahren zu nennen – tiefgreifende Veränderungen erzwingen. Dazu kommen die erheblichen Veränderungen aufgrund bahnbrechender Entwicklungen wie Digitalisierung und Anwendung der künstlichen Intelligenz (KI). Die gesamte Industrie wird damit einer umfassenden Transformation unterzogen. In der Führung von Organisationen, in Politik wie in den Unternehmen brauchen wir Menschen, die diesen Transformationsprozess steuern. Nicht nur der Ökonom Marcel Fratzscher bezeichnet die Aus- und Weiterbildung als das wichtigste aktuelle Handlungsfeld für Politik und Gesellschaft. Die deutschen Autobauer stehen vor drei gewaltigen Herausforderungen: Aus Klimagründen muss erstens die Antriebstechnik komplett und kurzfristig auf nicht fossile Antriebe umgestellt werden. Zweitens wird das autonome Fahren nur umgesetzt werden können, wenn IT und KI zu den Kernkompetenzen der Autohersteller gehören, die sich zu Mobilitätskonzernen transformieren müssen. Und drittens werden sich sowohl die Märkte als auch Zulieferketten dramatisch verändern, sowohl aus technologischen als auch geopolitischen Gründen.